Friday, June 30, 2006

Mein fünfter NRZ Artikel, erschienen am 28.06.2006


Müsli und Tee zum Fußball

Deutsche Fans auf neuseeländischem Boden: Matthias, Verena, Christian und Anja (von links) mit der passenden Fanausstattung am frühen Morgen.
AUSLANDSSEMESTER / NRZ-Mitarbeiterin Anja Schulte berichtet aus Neuseeland, wo sie die WM morgens um vier erlebt.
CHRISTCHURCH. 2006 - Fußballweltmeisterschaft in Deutschland! Tja, und ich bin in Neuseeland. Daran habe ich im November, als mein Auslandssemester feststand, keinen Gedanken verschwendet. Doch um dem in der weltmeisterschafts-euphorischen Heimat herrschenden Jargon treu zu bleiben: Halbzeit! Mein erstes Semester in Neuseeland neigt sich dem Ende entgegen, Zeit für eine Zwischenbilanz.
Meine derzeitige Wahlheimat ist mir in den vergangenen fünf Monaten lieber geworden, als ich es mir auch nur hätte vorstellen können - und das obwohl ich momentan lieber den niederrheinischen Sommer gegen den hier herrschenden nass-kalten Winter eintauschen würde. Und auch wenn ich bedauere, die WM-Stimmung im Austragungsland zu verpassen, muss ich zugeben, dass man guten Fußball um 4 Uhr morgens bei Müsli und Tee statt Bratwurst und Bier viel mehr zu schätzen weiß.
Daumendrücken für die deutsche Elf
Denn das ist die Zeit, zu der ich und meine Freunde unsere warmen Betten Nacht für Nacht verlassen müssen, um der deutschen Elf vom anderen Ende der Welt aus die Daumen zu drücken. Begebe ich mich auf dünnes Eis (von dem es hier wirklich einiges gibt), wenn ich zugebe, dass mich momentan etwas anderes beinahe noch mehr als König Fußball beschäftigt?
Aus der sicheren Entfernung von einigen zigtausend Kilometern, die mich von Deutschland trennen, wage ich nun einzugestehen, dass es in der Tat etwas gibt, das meine Aufmerksamkeit ein kleines bisschen mehr als Podolski und Co. in Anspruch nimmt: Der Großteil meiner hier gewonnenen Freunde wird innerhalb der nächsten zwei Wochen die Heimreise antreten. Anders als ich sind viele nur für ein Auslandssemester nach Neuseeland gekommen, das nun endet. Besonders schwer wird mir der Abschied von Verena (Betriebwirtschaftlerin, 25) und Matthias (Maschinenbauer, 23) fallen. Das aus Trier und Darmstadt stammende Paar hat sich im Februar in unserer Wohnanlage Ilam Village kennen gelernt und gehört zu meinen engsten Freunden hier. "Es ist schon seltsam, dass wir erst nach Neuseeland kommen mussten, um uns kennen zu lernen," sagt Verena über ihre neue Beziehung. Denn bei aller Romantik blickt das junge Pärchen der gemeinsamen Zukunft in der Heimat sowohl freudig als auch etwas nervös entgegen. "Unsere Zeit hier ist irgendwie schon eine Ausnahmesituation," so Matthias. "Hierher zu kommen war wie: Raus aus dem Alltag und rein in den Traum." Anders als Engländerin Becky und Amerikaner Zack trennt diese frisch Verliebten nicht die halbe Welt, sobald die gemeinsame Neuseeland-Zeit endet. Die knapp zwei Stunden dauernde Autofahrt zwischen Trier und Darmstadt ist eine gut zu überbrückende Distanz. Am 2. Juli werden die mir lieb gewordenen Freunde Christchurch verlassen, um zunächst sechs Wochen über die Nordinsel - dem WM-Endspiel werden sie in Auckland beiwohnen - und durch Australien zu reisen, bevor sie wieder heimatlichen Boden unter den Füßen spüren können.
Schwerer Abschied von den Freunden
Wir haben in den vergangenen Monaten viel Zeit miteinander verbracht und einiges zusammen erlebt. Verena ist zum Beispiel einen Halbmarathon gelaufen, bei dem ich sie vom Straßenrand aus moralisch unterstützt habe und Matthias hat sich ein von mir entworfenes Tattoo stechen lassen. Das sind nur zwei Dinge, an die wir uns bei unserem geplanten Nach-treffen im April 2007 gemeinsam erinnern können. Neben unserer Unterstützung für die Nationalelf mitten in der Nacht, versteht sich.
Auch wenn mir der Abschied von Matthias, Verena und vielen anderen Freunden sehr schwer fallen wird - einige internationale Studenten und Freunde bleiben mir auch für das nächste halbe Jahr erhalten. Und darüber hinaus freue ich mich auch schon auf die "Neuen", die Anfang Juli aus aller Welt nach Ilam kommen werden.
28.06.2006 ANJA SCHULTE

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